Der Gestaltansatz

Lebensfreude und persönliches Wachstum sind das Ziel der Gestalttherapie, um einen kreativen und spontanen Kontakt mit anderen Menschen und dem Umfeld, in dem wir leben, zu ermöglichen. Um das Ziel zu erreichen, ermutigen wir Klienten in der Gestalttherapie ihre Selbstwahrnehmung zu sensibilisieren und sich hin zur Selbstunterstützung zu entwickeln. Jeder Mensch wird wertgeschätzt als einzigartiges Individuum in der Gesellschaft, die vielleicht nicht immer diese Einzigartigkeit erlaubt. Es geht uns nicht um einen Reparaturbetrieb für isoliert betrachtete »Störungen«.

Durch die ganzheitliche Arbeit aktiviert die Gestalttherapie die dem Organismus innewohnenden Selbstheilungskräfte. Das, was wir als Blockade, Hindernis, Unentschiedenheit oder auch als Leere erleben, kann wahrgenommen und womöglich gelöst werden. Besondere Aufmerksamkeit schenken Gestalttherapeuten dem Kontaktprozess. Mit den Klienten gemeinsam untersuchen wir seine eventuell ihn oder seine Mitmenschen störenden, hinderlichen Erfahrungen in der Beziehung zu sich und der Umwelt.

Um den ganzheitlichen Anspruch der Gestalttherapie einzulösen, ist die Resonanz des Therapeuten, seine Zugewandtheit und Authentizität von Bedeutung. Er ist als ein wirkliches Gegenüber da. Er wird sichtbar als der Mensch, der er ist. Indem wir im therapeutischen Prozess die Wahrnehmung zu sich selbst und anderen gegenüber schärfen, werden Blockaden wieder als innere und äußere Konflikte spürbar.

Diese Konflikte bearbeiten wir dann in einem dialogischen Gespräch, Übungen oder Experimenten mit dem Klienten. Wenn der Klient die eigenen Bedürfnisse und Wünsche erfahren, wahrnehmen und akzeptieren kann, ist der Kontakt zu sich selbst hergestellt. Das ist bedeutsam für die innere Orientierung. Die äußere Orientierung finden wir in der Hinwendung zum Umfeld.

An der Kontakt-Grenze, da wo der Mensch aus der Umwelt etwas aufnimmt oder abwehrt, findet seelisches Wachstum oder die Selbst-Werdung eines Menschen statt. Das Ergebnis ist oft eine wirkliche Entdeckung, etwas Neues, etwas den eigenen Horizont Erweiterndes.

In der Gestalttherapie liegt der Fokus im Hier und Jetzt. Vergangenheit und Zukunft werden in die Gegenwart geholt und im Jetzt bearbeitet. Erinnern ist eine gegenwärtige Tätigkeit. Wenn wir uns an vergangene Erfahrungen annähern, tauchen in diesem Moment innere Bilder, Gefühle und Körperreaktionen auf. Da die Erinnerung im Hier und Jetzt lebendig ist, lässt sie sich unter Einbeziehung aktueller Erfahrungen bearbeiten. Offene Gestalten können geschlossen werden. Auch die Zukunft ist in der Gegenwart spürbar: Als Perspektive im Leben, als Streben nach etwas, aber auch als Hoffnungslosigkeit und vieles mehr. Sie ist in der Gegenwart präsent und ebenfalls Teil der therapeutischen Arbeit.

Der Gestaltansatz wird wirkungsvoll in vielen therapeutischen und beratenden Settings eingesetzt: in der Einzel- und Gruppentherapie, mit Paaren, mit Familien und Kindern, aber auch in Unternehmen und Organisationen verschiedener Berufsfelder.

Historischer Hintergrund

Die Gestalttherapie entwickelte sich aus der Psychoanalyse und erhielt ihren Namen von der Gestaltpsychologie. Diese beschäftigt sich damit, wie die Wirklichkeit durch unsere Wahrnehmung hergestellt wird. Das, was wahrgenommen wird, hat mit dem Betrachter zu tun. Die Gestaltpsychologie entdeckte, dass Menschen ihre Wahrnehmung so organisieren, dass sie ein sinnvolles Ganzes ergibt. Diese Erkenntnis machte sich die Gestalttherapie zu Nutze, indem sie einerseits die Wahrnehmung für das Gegenwärtige schult und sich andererseits dem zuwendet, was unerledigt geblieben ist. Diese unerledigten offenen Gestalten tauchen in unserem Leben immer wieder als Störungen auf, bis sie erledigt werden, das heißt, zu einem für das Individuum sinnvollen Abschluss gelangen.

Die Gestalttherapie wurde von dem deutschen Analytikerehepaar Laura und Fritz Perls und dem amerikanischen Schriftsteller und politischen Aktivisten Paul Goodman entwickelt. Laura und Fritz Perls, die 1930 vor dem Nationalsozialismus erst nach Südafrika und dann in die USA flüchteten, gaben in ihrer Arbeit mit Klienten den sogenannten sicheren und machtvollen Platz des Analytikers hinter der Couch, zugunsten einer gleichberechtigten Begegnung mit den Klienten auf. Der psychoanalytische Ansatz erfuhr weitere Abwandlungen und Ergänzungen, so plädierten Perls und Goodman für die Verwandlung der klinischen in eine experimentelle Situation, wo zum Beispiel Hemmung, Widerstand und Verweigerung nicht als unerwünscht betrachtet werden. Vielmehr sollen Klienten im geschützten therapeutischen Rahmen, darin unterstützt werden, sich schrittweise und ausprobierend schwierigen Gefühlen und Themen anzunähern. Mit der Einführung des Figur/Grund  Konzeptes aus der Feldtheorie Kurt Lewins bekommt die Arbeit mit früheren Erfahrungen eine neue Richtung:

„Unsere Geschichte ist der Hintergrund unserer Existenz; sie ist nicht eine Anhäufung von Fakten, sondern das Protokoll darüber, wie wir zu dem wurden, was wir sind. Nur wenn die Störungen im Hintergrund, die dem Support unseres gegenwärtigen Lebens entgegenwirken, in den Vordergrund treten, damit sie behandelt werden können, ist es möglich, dass sie sich von Defiziten (unvollständigen Gestalten) zu Funktionen des Support verwandeln.“

(Fritz Perls, Grundlagen der Gestalt-Therapie: Einführung und Sitzungsprotokolle, Stuttgart 2007 (12. Auflage), S. 76. Das Zitat stammt von 1969.)

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